Was ist eigentlich Virtual Reality Design?
14.09.2018 von Michael Jonas (Auszug)
Virtual Reality hat sich vom Nischenthema zum Hype entwickelt. Was es mit der Gestaltungsdisziplin VR Design auf sich hat, welche Ausbildungen es gibt und wie die Berufsaussichten sind …
Robin Hunicke, Produzentin des vielfach prämierten Spiels »Journey«, sagt über ihr neues Projekt »Luna«, eine Art interaktive Fabel: »On the PC, this is the game I designed. In VR, it’s the world that we imagined.« Die meisten Designer bezeichnen ihre VR-Projekte ganz bewusst nicht als Spiel, App oder Produkt, sondern als »Experience«. Denn der wichtigste Faktor und die Gemeinsamkeit bei allen VR-Varianten ist, dass deren Schöpfer versuchen, möglichst multisensorische Erlebnisse zu gestalten, deren immersive Qualität deutlich stärker ist als bei heutigen grafischen User Interfaces (GUIs).
Immersive virtuelle Umgebungen sind sehr viel komplexer in der Interaktion als die heute verbreiteten GUIs – und fühlen sich dennoch einfacher und natürlicher an. Daher nehmen VR Designer selten Rücksicht auf Genres oder gelernte Interface-Metaphern. Während User Experience Design als Disziplin viele Prinzipien aus der Gestaltung von Printerzeugnissen übernimmt, macht VR Design vornehmlich Anleihen beim Film. Wobei die Nutzer in VR körperlich präsente, handlungsmächtige Hauptdarsteller sind.
Als VR Designer hat man enorme Freiräume für Forschergeist und Spieltrieb.
Ein Beruf für Allround-Abenteurer
VR-Experiences müssen filmisch gedacht werden. Und räumlich. Und interaktiv. Das stellt große Anforderungen an VR Designer. Sie müssen UX- und Motion Design beherrschen und zugleich als Szenografen der virtuellen Welt fungieren sowie als Regisseure des individuellen Bedienungserlebnisses. Die Gestaltungsmöglichkeiten erweitern sich rasant, und etablierte Konventionen gibt es kaum. Zum Beispiel bei der Adaption des (Maus-)Klicks: Er wird bei mobilen VR-Systemen wie Google Cardboard oder Daydream oft durch bewusste Blickfixierung auf ein interaktives Objekt ausgelöst. Microsofts HoloLens dagegen nutzt als Klick die Gestenerkennung der sogenannten Air-Tap-Bewegung von Zeigefinger und Daumen. Gängige VR-Brillen wie Vive, Oculus und PSVR verwenden wiederum Handcontroller mit Hardwarebuttons, durch die man virtuelle Objekte direkt anfassen kann.
Oder auch das Scrolling: Die Anfang 2017 veröffentlichte Demo Freedom Locomotion ist vielleicht das erste Bewegungs- interface in VR, das rund läuft und sich mittels Arm- und Rumpfbewegungen bedienen lässt, sodass es sich sehr natür-
lich anfühlt. Es wurde nicht von Facebook oder Google entwickelt, sondern stammt aus George Kongs Ein-Mann-Unternehmen Huge Robot.
Selbst grundlegende Designkonzepte wie Klicken oder Scrollen brauchen also neues kreatives Denken für eine Übersetzung der Nutzungsprinzipien in die VR-Welt. Für VR Designer eröffnen sich dadurch enorme Freiräume für Forschergeist und Spieltrieb.
Gute Programmierer müssen VR Designer nicht sein, aber ein technisches Verständnis sollte vorhanden sein. Tools wie Unity und Unreal Engine sind leicht zu bedienen und zudem preisgünstig, sodass der Einstieg ins Development relativ leichtfällt. Das ist hilfreich, denn Prototyping ist in dem Beruf ein Muss. Schnelles Testen und Dazulernen ist der beste Weg, neue Ideen zu beurteilen, wenn es keine tradierten Gestaltungsregeln gibt. Und durch die Erlebnisqualität von VR macht das Testen sogar richtig Spaß.
Aussichtsreiche Zukunft
Inzwischen ist VR zumindest als Teilangebot in vielen Hochschulstudiengängen in den Bereichen Gamedesign, Digital Design oder auch in der Architektur zu finden. Dezidierte Studiengänge sind noch selten, aber es gibt sie: zum Beispiel die Bachelorangebote VR Design an der Burg Giebichenstein Kunsthochschulle Halle, Digital Design an der Hamburger Brand Academy, Virtual Design an der Hochschule Kaiserslautern und den Masterstudiengang Digital Reality, der 2018 an der HAW Hamburg startet.
Das Gestaltungsfeld VR wächst stetig, neben der Erlebnispark- und Computerspiele-Industrie herrscht Aufbruchsstimmung in vielen Branchen. Fast wöchentlich werden neue VR-Experiences in Bereichen wie Bildung, Industrie und Medizin vorgestellt, etwa zur Bekämpfung von Phobien oder zur Wartung hochkomplexer Maschinen. Nahezu etabliert ist mittlerweile der VR-Journalismus. Von »New York Times« über CNN, »Guardian« bis Al Jazeera: Weltweit veröffentlichen große Medienhäuser immer wieder beeindruckende VR-Dokumentationen wie »The Fight for Falluja« von der »New York Times«, die den Betrachter unmittelbar in den Kampf um die irakische Stadt hineinversetzt.
Die meisten Designer bezeichnen ihre VR-Projekte als »Experience«. Denn die wichtigste Gemeinsamkeit aller VR-Varianten sind die multisensorischen Erlebnisse.
Fast jeder mediale Content kann von den neuen, Empathie weckenden Qualitäten von Virtual Reality profitieren – auch das kommerzielle Marketing. Ein besonders gelungenes Beispiel ist die VR-Experience »Field Trip to Mars«, die durch das Ersetzen der Fenster durch Displays die Passagiere eines fahrenden Schulbusses in eine virtuelle Marslandschaft versetzt. Die Anwendung wurde von der Kreativagentur McCann in Kooperation mit dem Special-Effects-Studio Framestore für das Rüstungs- und Technologieunternehmen Lockheed Martin umgesetzt, das dadurch auf seine Tätigkeiten im Bereich Raumfahrt aufmerksam machte. Aber auch für künstlerische Projekte bieten sich durch VR neue Ausdrucksmöglichkeiten, die etwa der BAFTA- und Emmy-Award-prämierte Kurzfilm »Notes on Blindness« nutzte, der den Betrachter immersiv an der kognitiven und emotionalen Erfahrung des Erblindens teilhaben lässt.
Die Zukunft von und mit VR zu gestalten ist eine ebenso spannende wie verantwortungsvolle Aufgabe für VR Designer.
Wie bei allen zügig voranschreitenden Technologien stellt sich auch bei VR die Frage, ob alles, was technisch machbar ist, auch ausgestaltet werden muss oder sollte. Dieser Frage geht etwa der dystopische Konzeptfilm »Hyper-Reality« von Keiichi Matsuda nach, in der physische und virtuelle Realität gänzlich verschmelzen – mit eher abschreckendem Ergebnis. VR ist das sensuell wirkmächtigste Medium, das je entwickelt wurde, und während die jetzt schon eindrucksvolle Technik rasant voranschreitet, beginnt die breitere Debatte über soziokulturelle Auswirkungen gerade erst. Die Zukunft von und mit VR zu gestalten ist eine spannende und verantwortungsvolle Aufgabe für Designer, und auf dem Weg dahin gibt es viel zu entdecken und zu erfinden.
Der Autor
Prof. Michael Jonas hat langjährige Erfahrungen in Digital- und Kreativagenturen, unter anderem als Creative Director bei Jung von Matt in Hamburg. Er leitet den Studiengang Digital Design an der Brand Academy Hamburg und arbeitet als Gastprofessor für Mediendesign/Multimedia an der HBK Braunschweig.
Ganzer Artikel:
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